Street Photography: Es ist okay nein zu sagen

Nun kommt es durchaus häufig vor, dass ich dieses Einverständnis nicht bekomme. Dies mag viele Gründe haben, sicherlich liegt ein erheblicher Teil an mir, ich mag einfach ungeschickt gewesen sein.
Autor
Walter Pfefferle
Veröffentlicht
23/5/2022
Lesezeit
4 Min.
Kategorie
Schwarz-weiß-Fotografie

Über das Lesenlernen eines Straßen-Fotografen

Ich fotografiere gerne Menschen. Die meisten meiner Bilder kommen dadurch zustande, dass ich mich im öffentlichen Raum bewege und mich mit Menschen beschäftige, die mir in irgendeiner Art auffallen. Es mag sein, dass mich die Situation anspricht oder mein Interesse an der Person direkt geweckt wird.

Wenn ich nun ein Bild machen möchte, bei dem ein Mensch erkennbar im Mittelpunkt steht, spreche ich natürlich die betreffende Person an. Sicherlich aus Interesse an der Person, nicht zuletzt auch um das Einverständnis für das Bild zu bekommen.

Nun kommt es durchaus häufig vor, dass ich dieses Einverständnis nicht bekomme. Dies mag viele Gründe haben, sicherlich liegt ein erheblicher Teil an mir, ich mag einfach ungeschickt gewesen sein.

Dies ist ein spannendes Thema. Daher möchte ich zunächst festhalten, dass es aus meiner Sicht völlig in Ordnung ist, hier Nein zu sagen.

Menschen und Fotos erzählen eine Geschichte
Ein gutes Foto kann sehr viel erzählen; wir haben eine ganze Reihe von Redensarten, die dies widerspiegeln; wir sprechen von Sorgen- und Lachfalten, handeln mit stolzer Brust oder sind von Gram gebeugt; für neugierige Blicke haben wir im Deutschen ein besonders illustratives Wort, nämlich naseweis.

Die betroffenen Personen mögen dies instinktiv fühlen und zu dem Schluss kommen, dass sie diese bildhafte Erzählung nicht ohne weitere Kontrollmöglichkeit auf die Reise schicken möchten.

Andererseits ist es für mich auch interessant zu erleben, dass viele Menschen, die mit dem Fotografieren einverstanden sind, mir dann auch vieles von sich erzählen, die mich teilhaben lassen an ihrem Leben, so dass ihr Erlebtes, ihre Persönlichkeit in die Bilder mit einfließt. 

Mensch und Foto erzählen dann eine Geschichte, die sich gegenseitig ergänzen.

Wer sagt ja?

Sicherlich spielt die individuelle Persönlichkeit der angesprochenen Personen eine Rolle, ob sie mit dem Fotografieren einverstanden sind. Hier mag zunächst das Fünf-Faktoren-Modell (Big Five) der Persönlichkeitspsychologie einen Fingerzeig geben. 

Personen, bei denen beispielsweise die Faktoren Offenheit für Erfahrungen und Extraversion stark ausgeprägt sind, werden sich eher darauf einlassen, fotografiert zu werden als andere Persönlichkeitstypen. Dies spiegelt sich sicherlich auch bei meinen Straßenfotografien wider.

Darüber hinaus zeichnen sich bei ein paar Punkte ab, wenn ich meine Bilder insgesamt betrachte.

Zunächst ist für mich auffällig, dass Personen, die wir üblicherweise nicht zum Mainstream unserer Gesellschaft zählen würden, in der Regel damit einverstanden sind, dass ich sie fotografiere.
Hier habe ich das Gefühl, dass sich dieser Personenkreis wenig darum kümmert, wie er über das unmittelbare Erscheinungsbild hinaus auf andere wirkt; die Menschen haben offensichtlich wenig Neigung, Energie darauf zu verwenden, einer bestimmten sozialen Erwünschtheit zu genügen und sind in dieser Haltung sehr selbst-bewusst.

Zunächst ist für mich auffällig, dass Personen, die wir üblicherweise nicht zum Mainstream unserer Gesellschaft zählen würden, in der Regel damit einverstanden sind, dass ich sie fotografiere.
Hier habe ich das Gefühl, dass sich dieser Personenkreis wenig darum kümmert, wie er über das unmittelbare Erscheinungsbild hinaus auf andere wirkt; die Menschen haben offensichtlich wenig Neigung, Energie darauf zu verwenden, einer bestimmten sozialen Erwünschtheit zu genügen und sind in dieser Haltung sehr selbst-bewusst

Dann erlebe ich häufig eine jugendliche Unbekümmertheit, die mich einfach an dem Moment teilhaben lässt. Es ist eine starke Hinwendung zum Hier und jetzt.

Und dann gibt es noch eine gewisse Abgeklärtheit im Alter. 

Ältere Menschen, die schon sehr viele Wechselfälle im Leben erlebt haben, lassen mich häufig an ihrer Lebensgeschichte teilhaben und sind auch einverstanden damit, dass ich sie fotografiere. 

Dies ist zunächst mal etwas verwunderlich.

Die Forschung hat sich immer wieder damit beschäftigt, wie sich Verhaltensweisen im Laufe des Lebens verändern. Eine Publikation aus dem Jahre 2016 zeigt auf, dass das Älterwerden damit einhergeht, dass wir vorsichtiger werden:

(Curr Biol. 2016 Jun 20;26(12): R495-R497. Decision Neuroscience: Why We Become More Cautious with Age. Peter Bossaerts  & Carsten Murawski).

Sie fanden heraus, dass ältere Menschen weniger wahrscheinlich riskante Belohnungen gegenüber sicheren Belohnungen vorziehen.

Was lerne ich daraus?

Die wissenschaftliche Literatur beschreibt sehr interessante allgemeine Verhaltensweisen und eröffnet uns viele Möglichkeiten, darauf aufzubauen.

Offensichtlich gelingt mir die Kommunikation mit älteren Menschen besser. Wahrscheinlich können wir uns gegenseitig besser lesen, wir fassen schneller Vertrauen, somit scheint bei meiner Kommunikation mit älteren Menschen bei meinen Gesprächspartnern nicht das Thema Risiko im Vordergrund zu stehen.

Bei Jugendlichen empfinde ich deren Neugier häufig als sehr erfrischend, im obigen Sinne mag es bei ihnen eine Lust auf eine riskante Belohnung sein, die mir die Möglichkeit gibt, ins Gespräch zu kommen.

Bei den Altersgruppen dazwischen befinde ich mich in einem Lese-Lernprozess, der wohl noch lange weitergehen wird.